Medikamentöse Behandlung bei Depressionen

VonWilliam Coryell, MD, University of Iowa Carver College of Medicine
Überprüft/überarbeitet Aug. 2021
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

    Agomelatin, eine neue Art von Antidepressivum, kann zur Behandlung von schweren depressiven Phasen eingesetzt werden.

    Verschiedene Arten von Medikamenten können zur Behandlung von Depressionen eingesetzt werden.

    Psychostimulanzien, wie Dextroamphetamin und Methylphenidat, ebenso wie andere Medikamente, kommen manchmal zur Anwendung, häufig zusammen mit Antidepressiva. Psychostimulanzien werden eingesetzt, um die geistige Wachheit und Aufmerksamkeit zu erhöhen.

    Johanniskraut, ein pflanzliches Nahrungsergänzungsmittel, wird manchmal zur Linderung von leichten Depressionen verwendet, wobei dessen Wirkung nicht nachgewiesen ist. Aufgrund möglicher gesundheitsschädlicher Wechselwirkungen zwischen Johanniskraut und verschiedenen verschreibungspflichtigen Medikamenten müssen Patienten, die dieses pflanzliche Ergänzungsmittel einnehmen möchten, mögliche Wechselwirkungen mit ihrem Arzt besprechen.

    Die meisten Antidepressiva müssen mindestens einige Wochen lang regelmäßig eingenommen werden, bevor ihre Wirkung einsetzt. Die meisten Betroffenen müssen Antidepressiva über 6 bis 12 Monate lang einnehmen, um einen Rückfall zu vermeiden. Personen im Alter von über 50 Jahren müssen sie möglicherweise bis zu 2 Jahre lang einnehmen.

    Die Nebenwirkungen unterscheiden sich je nach Art des Antidepressivums. Wenn die Behandlung mit einem einzigen Medikament die Depression nicht lindern kann, wird manchmal eine andere Art (Klasse) oder eine Kombination von Antidepressiva eingesetzt.

    In den Nachrichten wurde über ein Risiko für Selbstmord nach Einnahme eines Antidepressivums berichtet. Einige wenige Patienten werden nach der ersten Einnahme eines Antidepressivums oder nach Erhöhung der Dosis aufgeregter, depressiver oder ängstlicher. Bei manchen Betroffenen, insbesondere kleineren Kindern und jungen Heranwachsenden, besteht erhöhte Selbstmordgefahr, wenn diese Symptome nicht erkannt und rasch behandelt werden. Dieses Phänomen wurde zuerst in Zusammenhang mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) berichtet. Aber das Risiko ist wahrscheinlich bei allen Klassen von Antidepressiva ähnlich. Der Arzt des Patienten sollte verständigt werden, wenn die Symptome sich nach Beginn der Einnahme oder Erhöhung der Dosis von Antidepressiva (oder aus anderem Grund) verschlimmern. Da Selbstmordgedanken ebenfalls ein Symptom der Depression sind, könnten es für Ärzte schwierig sein, festzustellen, ob das Antidepressivum zu den Selbstmordgedanken und -verhalten beigetragen hat oder nicht. Einige Studien bezweifeln, dass ein Zusammenhang besteht.

    Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)

    Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) sind momentan die am häufigsten verwendete Klasse von Antidepressiva. SSRI sind wirksam bei der Behandlung von Depressionen sowie bei anderen psychischen Gesundheitsstörungen, die oft mit Depressionen einhergehen.

    Obwohl SSRI Übelkeit, Durchfall, Zittern, Gewichtsabnahme und Kopfschmerzen hervorrufen können, fallen diese Nebenwirkungen gewöhnlich leicht aus oder verschwinden bei fortgesetzter Anwendung. Die meisten Patienten vertragen die Nebenwirkungen von SSRI besser als von heterozyklischen Antidepressiva. Bei SSRI ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese sich negativ auf das Herz auswirken, geringer als bei heterozyklischen Antidepressiva.

    Einige Patienten wirken jedoch in der ersten Woche, nachdem ihre Behandlung mit SSRI begonnen hat, oder wenn die Dosis erhöht wird, erregter, depressiver und ängstlicher. Bei diesen Personen, insbesondere jüngeren Kindern und Jugendlichen, besteht erhöhte Selbstmordgefahr, wenn diese Symptome nicht erkannt und rasch behandelt werden. Betroffene, die SSRI einnehmen, und deren Angehörige sollten über diese Gefahren aufgeklärt und angewiesen werden, einen Arzt anzurufen, wenn sich die Symptome während der Behandlung verschlimmern. Da jedoch Menschen mit unbehandelter Depression manchmal auch erfolgreich Selbstmord begehen, müssen die Betroffenen mit ihrem Arzt dieses Risiko gegenüber dem einer medikamentösen Behandlung abwägen.

    Außerdem können bei SSRI bei längerer Behandlung zusätzliche Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme und sexuelle Funktionsstörungen (bei einem Drittel der Betroffenen) auftreten. Einige SSRIs, wie Fluoxetin, verursachen Appetitverlust. Während der ersten Wochen nach Beginn der Einnahme von SSRIs können sich die Patienten tagsüber benommen führen. Dieses Gefühl ist aber nur vorübergehend.

    Das abrupte Absetzen der SSRIs kann zu einem Entzugssyndrom führen, das Symptome wie Schwindel, Angstgefühle, Reizbarkeit, Müdigkeit, Übelkeit, Schüttelfrost und Muskelschmerzen hervorruft.

    Neuere Antidepressiva

    Neuere Antidepressiva sind so wirksam und sicher wie SSRI und haben ähnliche Nebenwirkungen. Zu diesen Medikamenten zählen:

    • Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (wie z. B. Bupropion)

    • Serotoninmodulatoren (wie beispielsweise Mirtazapin und Trazodon)

    • Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (wie Venlafaxin und Duloxetin)

    Wie auch bei SSRIs kann das Selbstmordrisiko kurzzeitig steigen, wenn mit der Einnahme dieser Medikamente begonnen wird, und ein abruptes Absetzen von Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern kann zu einem Entzugssyndrom führen.

    Andere Nebenwirkungen hängen vom Medikament ab (siehe Tabelle unten).

    Heterozyklische (einschließlich trizyklische) Antidepressiva

    Heterozyklische Antidepressiva, einst die Standardbehandlung, werden mittlerweile selten angewendet, da sie mehr Nebenwirkungen haben als andere Antidepressiva. Oft verursachen sie Benommenheit und führen zur Gewichtszunahme. Sie können in stehender Position auch zu erhöhtem Puls und sinkendem Blutdruck führen (dies wird als orthostatische Hypotonie bezeichnet). Weitere Nebenwirkungen, die als anticholinerge Effekte bezeichnet werden, sind unter anderem verschwommene Sicht, Mundtrockenheit, Verwirrtheit, Verstopfung und Schwierigkeiten beim Wasserlassen. Anticholinerge Effekte wirken sich bei älteren Menschen häufig schwerer aus.

    Das abrupte Absetzen von heterozyklischen Antidepressiva wie SSRI kann zu einem Entzugssyndrom führen.

    Monoaminoxidase-Hemmer (MAOI)

    Monoaminoxidase-Hemmer (Monoamine-Oxidase-Inhibitor, kurz MAOI) sind sehr wirksam, werden aber selten verschrieben, außer wenn andere Antidepressiva ohne Wirkung bleiben. Patienten, die MAOI einnehmen, müssen bei ihrer Ernährung einige Einschränkungen beachten und besondere Vorsicht walten lassen, um schwere Reaktionen wie einen plötzlichen heftigen Anstieg des Blutdrucks mit heftig pochenden Kopfschmerzen (hypertensive Krise) zu vermeiden. Diese Krise kann einen Schlaganfall hervorrufen. Die Vorsichtsmaßnahmen beinhalten

    • auf den Verzehr von tyraminreichen Speisen und Getränken, z. B. Bier vom Fass, Rotweine (auch Sherry), Liköre, überreife Nahrungsmittel, Salami, ausgereifte Käsesorten, Fava- oder Ackerbohnen, Hefeextrakte (Marmite), Feigen aus der Dose, Rosinen, Joghurt, Käse, saure Sahne, Salzhering, Kaviar, Leber, stark plattiertes Fleisch und Sojasoße zu verzichten

    • kein Pseudoephedrin, das in vielen rezeptfreien Husten- und Erkältungsmitteln enthalten ist, einzunehmen

    • kein Dextromethorphan (ein Hustenmittel), Reserpin (ein Antihypertensivum/blutdrucksenkendes Mittel) oder Pethidin/Meperidin (ein Analgetikum) einzunehmen

    • immer ein Antidot (Gegenmittel), z. B. Chlorpromazin, mitzuführen, für den Fall, dass heftig pochende Kopfschmerzen auftreten. In diesem Fall sollte man sofort das Antidot einnehmen und sich zur nächsten Notaufnahme begeben

    Patienten, die MAOIs einnehmen, sollten auch die Einnahme anderer Arten der Antidepressiva vermeiden, einschließlich heterozyklischer Antidepressiva, SSRI, Bupropion, Serotoninmodulatoren und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer. Die Einnahme von MAOI mit einem weiteren Antidepressivum kann eine gefährlich hohe Körpertemperatur, Muskelabbau, Niereninsuffizienz und Anfälle zur Folge haben. Diese Nebenwirkungen, auch als malignes neuroleptisches Syndrom bezeichnet, können tödlich sein.

    Das abrupte Absetzen von MAOIs kann wie bei SSRIs zu einem Entzugssyndrom führen.

    Tabelle

    Melatonerge Antidepressiva

    Agomelatin ist ein melatonerges Antidepressivum, das die Melatoninrezeptoren anregt und zur Behandlung bei schweren depressiven Phasen eingesetzt wird. Es hat verschiedene Vorteile:

    • Es weist weniger Nebenwirkungen als die meisten anderen Antidepressiva auf.

    • Es verursacht keine Schläfrigkeit tagsüber, Schlaflosigkeit in der Nacht oder eine Gewichtszunahme.

    • Es macht nicht abhängig und verursacht keine Entzugssymptome.

    Agomelatin kann Kopfschmerzen, Übelkeit und Durchfall verursachen. Es kann auch die Leberenzymwerte erhöhen, weshalb die Ärzte diese Werte vor Beginn der Behandlung und anschließend alle 6 Wochen messen. Patienten, die Probleme mit der Leber haben, sollten kein Agomelatin einnehmen.

    Ketaminähnliche Medikamente

    Ketamin ist ein Narkosemittel (Anästhetikum). Forscher haben jedoch herausgefunden, dass die von Ketamin betroffenen Gehirnmechanismen eine Rolle bei der Depression spielen, und wenn der Wirkstoff in Dosen verabreicht wird, die für eine Narkose nicht ausreichen würden, eine schnelle Besserung der depressiven Symptome erzielen kann. Vor kurzem hat Esketamin, eine Form von Ketamin, die Zulassung von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde (Food and Drug Administration, FDA) für Patienten mit schweren depressiven Störungen erhalten, die auf traditionelle Behandlungen nicht angesprochen haben. Es wird als Nasenspray verabreicht. Es wird in geringeren Dosen als bei einer Narkose (Anästhesie) verabreicht.

    Die meisten Patienten, die Ketamin oder Esketamin erhalten, erleben innerhalb von 3 bis 4 Stunden einen Rückgang der Symptome der Depression. Dies ist im Vergleich zu den meisten Antidepressiva, die ihre Wirksamkeit erst nach mehreren Wochen entfalten, eine sehr schnelle Reaktion. In den meisten Fällen beginnt die Wirkung von Ketamin oder Esketamin nach ein bis zwei Wochen nachzulassen. Die Dosis kann einige Wochen lang wiederholt verabreicht werden. Leider hört das Medikament schon nach wenigen Monaten auf, zu wirken. Es gibt einige wenige Patienten, die mit nur einer Behandlung einen ganzen Monat lang eine Wirkung spüren.

    Nebenwirkungen können innerhalb von 1 bis 2 Stunden auftreten, u. a. erhöhter Blutdruck, Übelkeit und Erbrechen und Auswirkungen auf die geistige Verfassung, z. B., dass sich die Patienten von sich selbst losgelöst fühlen (Derealisation), Patienten, die eine Verzerrung von Zeit und Raum erleben oder unter Sinnestäuschungen leiden. Diese Medikamente werden in der Regel in einer Arztpraxis oder in einer Klinik verabreicht, damit die Ärzte die Person ein paar Stunden lang auf Nebenwirkungen hin überwachen können, und weil Ketamin ein Medikament ist, das manchmal als Freizeitdroge missbraucht wird.