Erkrankungen der Nervenwurzeln

(Radikulopathien)

VonMichael Rubin, MDCM, New York Presbyterian Hospital-Cornell Medical Center
Überprüft/überarbeitet Apr. 2022
DIE AUSGABE FÜR MEDIZINISCHE FACHKREISE ANSEHEN

Erkrankungen der Nervenwurzeln entstehen durch einen plötzlichen oder langfristigen Druck auf die Spinalnervenwurzel.

  • Erkrankungen der Nervenwurzeln entstehen in der Regel durch einen Bandscheibenvorfall oder eine Arthrose in der Wirbelsäule.

  • Diese Erkrankungen können Schmerzen, Empfindungsstörungen und/oder Muskelschwäche im Bereich des Körpers verursachen, der von den betroffenen Nerven versorgt wird.

  • Die Diagnose von Erkrankungen der Nervenwurzeln stützt sich auf die Ergebnisse von bildgebenden Verfahren, elektrodiagnostischen Tests sowie Tests zur Bestimmung der Ursache.

  • Die Ärzte behandeln nach Möglichkeit die Ursache und verabreichen Medikamente zur Schmerzlinderung, einschließlich rezeptfreier Schmerzmittel (z. B. nichtsteroidale Antirheumatika oder Paracetamol) und Kortikosteroide.

(Siehe auch Übersicht der Erkrankungen des peripheren Nervensystems.)

Nervenwurzeln sind die kurzen Äste eines Spinalnervs. Die Spinalnerven entspringen dem Rückenmark über die gesamte Länge der Wirbelsäule. Jeder Spinalnerv enthält zwei Nervenwurzeln: eine motorische und eine sensorische. (Motorische Nervenwurzeln enthalten Nervenfasern, die Befehle vom Gehirn und Rückenmark zu den Muskeln leiten. Sensorische Nervenwurzeln enthalten Nervenfasern, die sensorische Informationen über beispielsweise Berührungen, Position, Schmerz und Temperatur vom Körper zum Rückenmark weiterleiten.) Nach Verlassen des Rückenmarks verbinden sich die beiden Nervenwurzeln zu einem einzelnen Spinalnerv. Jeder Spinalnerv führt dann zwischen zwei Rückenwirbeln (Wirbeln) in die Wirbelsäule hinein, um sich mit einem bestimmten Körperbereich zu verbinden. Die Hautoberfläche ist anhand dieser Körperbereiche unterteilt, die als Dermatome bezeichnet werden. Ein Dermatom ist ein Hautbereich, der von den sensiblen Fasern einer Spinalnervenwurzel autonom versorgt wird.

Die Wirbelsäule

Das Rückgrat besteht aus einer Säule von Knochen, die man Wirbelknochen nennt (Wirbelsäule). Die Wirbel schützen das Rückenmark (einen langgezogenen, empfindlichen Strang im Wirbelkanal), welches im Zentrum der Wirbelsäule verläuft. Zwischen den Wirbeln liegen Scheiben aus Knorpel (Bandscheiben), die als Abfederungspuffer des Rückgrats dienen und ihm eine gewisse Flexibilität verleihen.

Spinalnerven: Dem Rückenmark entspringen zwischen den Wirbeln 31 Spinalnervenpaare. Jeder Nerv bildet zwei kurze Äste (Wurzeln) aus – motorisch und sensorisch – die sich zu einem Spinalnerv vereinen.

Die motorischen Wurzeln leiten Befehle von Gehirn und Rückenmark in andere Körperregionen, insbesondere zur Skelettmuskulatur.

Die sensorischen Wurzeln übermitteln Informationen aus anderen Körperregionen an das Gehirn.

Cauda equina: Das Rückenmark endet zwar nach etwa drei Vierteln der Wirbelsäule, ein Nervenbündel läuft jedoch über das Rückenmark hinaus. Dieses Nervenfaserbündel heißt Cauda equina (lat. Pferdeschwanz), da es dem Schweif eines Pferdes ähnelt. Die Cauda equina überträgt Nervenimpulse zu und von den Beinen, dem unteren Darmbereich und der Blase.

Dermatome

Die Hautoberfläche ist in die sogenannten Dermatome unterteilt. Ein Dermatom ist ein Hautbereich, der von den sensiblen Fasern einer Spinalnervenwurzel autonom versorgt wird. Sensorische Nerven leiten z. B. Informationen über Schmerz, Temperatur und Erschütterungen von der Haut an das Rückenmark weiter.

Spinalnervenwurzeln kommen paarig vor – ein Paar auf jeder Seite des Körpers. Es gibt 31 Paare:

  • Die sieben Halswirbel weisen acht Paar sensorischer Nervenwurzeln auf.

  • Zu den 12 Brust-, 5 Lenden- und 5 Kreuzbeinwirbeln jeweils gehört die gleiche Anzahl von Nervenwurzelpaaren.

  • Zusätzlich gibt es am untersten Teil der Wirbelsäure ein Paar Nervenwurzeln, die einen kleinen Hautbereich des Steißbeins (Os coccygis) versorgen.

Diese Nervenwurzeln weisen Dermatome auf.

Mittels sensorischer Nervenfasern übermittelt ein bestimmtes Dermatom sensorische Informationen an die Spinalnervenwurzel eines bestimmten Rückenwirbels. Beispielsweise werden sensorische Informationen von einem Hautstreifen über die Innenseite der Unterschenkel mittels sensorischer Nervenfasern an die 2. Nervenwurzel der Kreuzbeinwirbel (S2) übermittelt.

Ursachen

Die häufigste Ursache von Störungen der Nervenwurzel ist

Ein Bandscheibenvorfall kann eine Erkrankung der Nervenwurzeln verursachen, indem er Druck auf die daneben liegende Nervenwurzel ausübt.

Rheumatoide Arthritis (RA) oder Arthrose kann Veränderungen der Wirbelsäule verursachen, die Druck auf die Nervenwurzeln ausüben, insbesondere im Hals und im unteren Rücken. Bei der Arthrose kann ein Knochen in der Wirbelsäule zu stark wachsen und die Öffnung zwischen den Wirbeln, durch den die Nervenwurzel verläuft, verengen.

Seltener übt ein Tumor oder eine andere Raumforderung (wie ein Abszess) Druck auf eine Nervenwurzel aus.

Diabetes mellitus kann eine Erkrankung der Nervenwurzeln verursachen, indem Blutgefäße geschädigt werden, welche die Nervenwurzel mit Blut versorgen.

Infektionen, wie z. B. Tuberkulose (TB), die Lyme-Borreliose, Syphilis und Gürtelrose, beeinträchtigen mitunter die Nervenwurzeln.

Symptome

Die Symptome einer Erkrankung der Nervenwurzeln hängen davon ab, welche Nervenwurzel betroffen ist. Schmerzen, Empfindungsstörungen und/oder Muskelschwäche treten in dem von der Nervenwurzel versorgten Körperbereich auf. Der Schmerz kann sich wie ein elektrischer Schlag anfühlen, der im betroffenen Bereich ausstrahlt. Die Muskeln können verkümmern und/oder zucken. Bei den betroffenen Muskeln kann eine Lähmung auftreten.

Die Schmerzen können sich womöglich durch Bewegung verschlimmern, einschließlich Bewegungen des Rückens, beim Husten und Niesen.

Wenn die untersten Wurzeln des Rückenmarks (die Cauda equina) betroffen sind, können die Patienten Schwäche in den Beinen, Probleme mit den Harnwegen (wie Inkontinenz oder Harnverhalt) aufweisen oder die Kontrolle über den Darm oder das Empfindungsvermögen im Gesäß, im Genitalbereich, in der Blase und im Rektum verlieren. Männer können Probleme haben, eine Erektion zu bekommen. Diese Erkrankung, die als Cauda-Syndrom bezeichnet wird, stellt einen medizinischen Notfall dar. Das Problem, z. B. ein Bandscheibenvorfall, ein Abszess, ein Tumor oder ein Blutgerinnsel, das für den Druck auf die Cauda equina verantwortlich ist, muss behandelt werden, um eine bleibende Nervenschädigung zu verhindern.

Diagnose

  • Bildgebende Verfahren

  • Manchmal elektrodiagnostische Untersuchungen

Der Arzt fragt nach den Symptomen und führt eine körperliche Untersuchung durch. Die Ergebnisse liefern Hinweise für die Diagnose und helfen dem Arzt dabei, festzustellen, wo das Problem liegt.

Die Diagnose kann mit Hilfe einer Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) bestätigt werden. Durch die MRT werden sowohl das Rückenmark als auch Fehlbildungen der Weichteilgewebe um das Mark herum, wie Abszesse, Blutansammlungen (Hämatome), Tumoren und Bandscheibenvorfälle, sowie im Knochen, z. B. Tumoren, Knochenbrüche, Arthrose und eine zervikale Spondylose, dargestellt.

Wenn die MRT nicht durchgeführt werden kann und die Ergebnisse der CT unklar sind, kommt eine Myelografie zum Einsatz. Bei einer Myelografie wird ein (auf den Röntgenaufnahmen sichtbares) Kontrastmittel in den Bereich um das Rückenmark eingespritzt. Im Anschluss werden Röntgenaufnahmen erstellt. Auch eine post-Myelo-CT kann durchgeführt werden. Eine post-Myelo-CT kann detaillierte Aufnahmen des Rückenmarks und des umliegenden Knochens liefern.

Elektrodiagnostische Tests (Elektromyografie und Messungen der Nervenleitungsgeschwindigkeit) werden durchgeführt, um die geschädigten Nervenwurzeln zu identifizieren und zu bestätigen, dass die Symptome durch eine Kompression des Spinalnervs und nicht durch Probleme im Rückenmark oder in einem Nervenplexus (einer Verflechtung von Nervenfasern, aus der Fasern aus verschiedenen Spinalnerven sortiert und neu zusammengefasst werden, um einem bestimmten Körperbereich zu dienen) verursacht werden. Allerdings lässt sich durch die Tests die Ursache nicht immer bestimmen.

Wenn die Ursache durch bildgebende Verfahren nicht bestimmt werden kann, wird eine Spinalpunktion durchgeführt. Außerdem analysieren die Ärzte die Flüssigkeit, die das Gehirn und das Rückenmark umgibt (Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit), um nach Infektionen zu suchen. Ärzte messen auch den Blutzuckerspiegel, nachdem die Patienten gefastet haben, um sie auf Diabetes zu untersuchen, und können je nach vermuteter Ursache weitere Tests durchführen.

Behandlung

  • Behandlung der Krankheitsursache

  • Behandlung von Schmerzen

  • Operation (in der Regel als letzter Ausweg)

Ursachen von Erkrankungen der Nervenwurzeln werden nach Möglichkeit behandelt.

Bei plötzlich auftretenden, unmittelbaren Schmerzen kommen Schmerzmittel (Analgetika) wie Paracetamol und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) zum Einsatz. Wenn die Symptome nicht gelindert werden, können Kortikosteroide oral verabreicht oder in den Epiduralraum injiziert werden (zwischen der Wirbelsäule und der äußeren Gewebeschicht, die das Rückenmark umgibt). Mit Kortikosteroiden ist die Schmerzlinderung jedoch eher mittelmäßig und vorübergehend.

Bei langanhaltenden (chronischen) Schmerzen kann sich die Behandlung als schwierig erweisen. Paracetamol und NSAR sind oft nur teilweise wirksam und die Einnahme von NSAR über einen langen Zeitraum birgt erhebliche Risiken. Opioide Schmerzmittel weisen ein Risiko für eine Abhängigkeit auf. Einige Antidepressiva und Antiepileptika können - obwohl sie keine reinen schmerzlindernden Wirkstoffe enthalten - zur Beseitigung der von einer Nervenschädigung hervorgerufenen Schmerzen führen. Auch Physiotherapie kann helfen, die Schmerzen zu lindern. Wenn all diese Behandlungen nicht wirken, möchten manche Patienten eventuell alternative Heilmethoden ausprobieren (wie z. B.: transdermale elektrische Nervenstimulation, Chiropraktik, Akupunktur oder Heilkräuter).

Wenn die Schmerzen unerbittlich sind oder der Druck auf die Spinalnerven zu Muskelschwäche oder einem Empfindungsverlust führt, kann eine Operation zur Druckentlastung erforderlich sein. Wenn eine Kompression der Cauda equina oder des Rückenmarks eine Harn- oder Stuhlinkontinenz verursacht, ist in der Regel eine Operation erforderlich, die rasch durchgeführt wird, um eine dauerhafte Schädigung zu verhindern.